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Bin ich fix?

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Selbstoptimierung: Eine Frau vor dem Spiegel. Bildmontage: Kelly Eggimann

Für die Fashion Week in New York diesen Monat hat sich der Sportartikelhersteller New Balance was Schickes einfallen lassen, meine Damen und Herren. Die Marke installierte von künstlicher Intelligenz gesteuerte Kameras, die in Echtzeit Fussgänger ausmachen können, die unkonventionell, also: gegen den Trend, angezogen sind. Als Teil von einer «Sei-die-Ausnahme»-Kampagne honoriert der Turnschuhfabrikant diese mutmassliche Unkonventionalität – mit einem Paar New-Balance-Sneakers.

Unsere Zeit legt Wert auf das Besondere. Unsere Konsumkultur ist ausgerichtet auf die Entdeckung und Kuratierung eines authentischen Selbst.

Dahinter steht die Idee eines fixen Ich, eines essenzialistischen Wesenskerns, den es eben zu entdecken und zu perfektionieren gilt; auch die «Authentizität» wird zu einem Feld der Optimierungsbestrebungen und das fixe, ideale, authentische Selbst zum Zielpunkt dieser Optimierung, wobei die Optimierung essenziell unendlich ist, also die Sterblichkeit des Ichs verneint. An die Stelle von Perfektion tritt Perfektibilität, d.h. die unendliche Verbesserbarkeit und Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen (als eines Mängelwesens), ursprünglich ein aufklärerisches Ideal, nun allerdings spätmodern-uferlos geworden, zum Beispiel als sogenanntes Neuro Enhancement, das mit Pillen, Elektroden und Schnittstellenimplantierung die Leistung des menschlichen Gehirns ausweiten will.

Zur Welt statt zu sich kommen

Was aber, wenn dieses Ich nun selbst keine fixe, sondern eine fliessende Grösse wäre, oder am Ende: gar keine Grösse? Man muss gar nicht gleich so weit gehen wie der Historiker Yuval Noah Harari, der in seinem neuesten Buch «21 Lektionen für das 21. Jahrhundert» den «Identitätskern» des Menschen als eine «komplexe Illusion» bezeichnet, die von neuronalen Netzwerken geschaffen wird, und feststellt, «dass Authentizität ein Mythos ist».

Es geht auch weniger biochemisch: In seiner 1952 erschienenen Arbeit «Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung» fasst der Soziologe Arnold Gehlen seine Anthropologie in folgendem Gedanken zusammen: Der Mensch wird durch seine Subjektivität überfordert; wenn der Mensch innerlich wird, droht der Abgrund, das Nichts, eine bodenlose Innerlichkeit, die im Selbstbezug des Menschen wie ein Schlund aufklafft. Der Philosoph Rüdiger Safranski paraphrasiert das in seinem Buch «Das Böse oder das Drama der Freiheit» wie folgt: Statt zu sich zu kommen, sollte der Mensch besser versuchen, zur Welt zu kommen.

Was andere über einen denken

Der Mensch soll sich nicht nach sich selbst richten, da er sündig ist, so lehrte bereits der christliche Kirchenvater Augustinus von Hippo. Gehlen erklärt: Der Mensch kann sich nicht nach sich selbst richten, weil er ein solches fest umrissenes, orientierendes Selbst gar nicht besitzt. Das cartesianische Selbst ist in dieser Sicht nur ein Illusionseffekt, eine mentale Repräsentation, die in unserem Gehirn dadurch entsteht, dass wir von der Kultur Feedback erhalten.

Und auch wenn ein fixes Selbst existierte, so könnte man sich selbst doch nie vollkommen kennen. Das sagt jedenfalls der Philosoph und Historiker Theodore Zeldin. Denn: Ein Teil des Selbst hängt davon ab, was andere über einen denken. Das ist weder gut noch schlecht, sondern einfach eine Tatsache. Wenn sich also die Zuschreibungen von aussen ändern, lerne ich mich quasi zwangsläufig neu kennen. Jenseits meines Ichs. Denken Sie mal drüber nach. Wenn Ihr Ich das gestattet.

Der Beitrag Bin ich fix? erschien zuerst auf Tingler.


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